Wenn ich mein Ich suche, finde ich immer nur dich, denn erfahren kann man sich, wenn man mal ganz ehrlich ist, nur in der Selbstdistanz. Damit wird jede Aussage aber zwangsläufig zu einer Inszenierung, zu einem Spiel mit dem merkwürdigen Fremden im Spiegel, den man selbstbewusst Ich nennt, obwohl man die ganze Zeit auf irgendein Bild zeigt. Das ist in der Regel kein Problem, würden in unserem Fall nicht mindestens zehn solcher Spiegel auftreten, von denen alle Bilder dasselbe erzählen, nur in einer völlig anderen Tonalität und teilweise in einer ganz anderen Ordnung. Das eine Spiegelbild zum Beispiel erzählt mich übersprießend optimistisch, das andere dagegen trieft nur so vor Pessimismus. Ein anderes Spiegelbild ist bedeckt mit zartem Dunst, als hätte ihm jemand etwas mit heißem Atem zugehaucht, jedenfalls kann ich seinen Gesichtsausdruck nie wirklich deuten. Ein Bild spricht stets in einem Dialekt, von dem ich nicht weiß, woher es diesen überhaupt kennt, er spricht Plattdeutsch. Du bist ne Süße, nen richt’ges Määdchen, net? Da ist ein Spiegelbild, dass mir mein Selbst stets vom Ende her erzählt, als wäre alles so gekommen, wie es sein musste. Und eines erzählt mich so durcheinander, dass ich nie wirklich weiß, wo ich mich denn gerade befinde und wo es als nächstes hinginge, wo so ein chaotischer Strudel überhaupt münden sollte. Vielleicht ist dieses Bild noch am ehrlichsten.
Aber auf Instagram, rücken wir uns stets selbst zurecht, wie ein Bild, das schief hängt. Ein Jahr lang war meine Story tot, obwohl ich gelebt habe. Seine Lebendigkeit, seine Anwesenheit im Reich der Lebenden verlangt jedoch immer die Bestätigung in den Sozialen Medien. Erst, wenn ich den herrlichen Sonnenuntergang auf Kreta in meinem Sommerurlaub poste, mein Bachelor-Abschlusszeugnis mit einem Gewinner-Grinsen und den perfekten Cappuccino mit Latte Art zeige, nehmen alte Bekannte war, dass ich lebe. Ach, die gibt’s ja auch noch! Irgendein kluger Mann meinte mal: Ich denke, also bin Ich. Heute müsste man den Satz korrigieren und sagen: Ich poste, also bin ich. Wenn ich poste, dann bin ich wer, dann kann ich sogar sein, wer ich will. Aber sobald der Bildschirm schwarz wird, spüre ich, dass das nicht stimmt. Die Collage ästhetisierter Banalitäten meines Alltages war nur ein weiteres Spiegelbild, ein weiteres Du.
Aber vor lauter Wut, vor lauter Überforderung dieser vielen Stimmen all die Spiegel zu zerschlagen, das stellte sich stets als Fehler heraus. Das brachte ja keine Heilung. Vom Stottern. Vom Zittern. Sie setzten sich immer wieder aufs Neue zusammen, jedes Mal beleidigter, hektischer, eindringlicher. Irgendwann spürte ich, dass der Moment, in dem alle Spiegel zersplittert blieben, der unvermeidliche Tod wäre, dass dann kein Leben mehr möglich ist.
Also schüttele ich weiter Hände, mit dem festen Händedruck einer Person, die sich ihrer selbst sicher ist. Die Momentblitze meines Lebens landen weiterhin auf Instagram, gefiltert und mit Filter.
Bisher keine befriedigende Antwort? Okay, ein nächster Versuch: Wenn ich mich wirklich selbst suche, dann finde ich mich für einen kurzen Moment in der Badewanne. Badewanne ist kein Wort, das man bei dieser Frage erwartet, das ist vielleicht ein Ort, wo man seinen Traumbody auf Instagram inszeniert. Doch dieser Moment, wenn das heiße Wasser noch einfließt, und dein Körper sich halb verbrüht und halb erfriert, wenn sich dein Sein in Hitze und Frösteln zerteilt, wenn das fließende Wasser noch am Rauschen ist, dann fühle ich mich ganz. Im Dazwischen. Erst, wenn die heißen Wassermassen meinen Körper komplett bedecken und ich mich der blubbernden Hitze meines Bades ergebe, weiß ich, das Ich ist immer im Werden. Und irgendwie ist das okay.