Es hat sich verbunden. Faser für Faser. Ich kritzelte stundenlang in meinem Notizbuch und dann ist es plötzlich passiert. Wie flüssiges Feuer ist es in mich übergeflossen und brannte sich zischelnd in meine empfindliche Haut, die sich fröstelnd hingab.
Es war ein Moment des Überkommens, solange habe ich schon darauf gewartet, und als es geschah, war es widerwärtig und faszinierend zugleich.
Zuvor habe ich verbissen nach Wörtern gesucht und meinen Kopf durchkramt wie eine alte Rumpelkammer. Ich bekam die ein oder anderen Kostbarkeiten zu fassen, doch lagen sie in meiner Hand, flutschten sie zurück, oder verblichen zu aschiger Leblosigkeit, sie wurden unbrauchbar und irgendwann bekam ich in diesem Gerümpel nichts mehr zu fassen.
Zeilenlange Leidenschaftslosigkeit, mein ausgeworfener Brei von Wortgekritzel kam mir fremd und widerwärtig vor, niemals konnte das wirklich von mir stammen! Da war kein reißender Fluss, keine weiche Wiese, kein gleißendes Licht oder absorbierendes Dunkel. Nur spitze Zacken und Unregelmäßigkeiten. Ich hätte mir den Kopf abgerissen, durchschütteln und neu anstecken wollen, wenn es nicht passiert wäre. Ist es überhaupt passiert? Kann so etwas passieren?
Mein Stift zitterte in meiner Hand, als würde er sich vor mir und unseren Ausfluss erschrecken. Es war merkwürdig. Er hörte plötzlich auf zu wimmern und wurde ganz still, ganz schwer in meiner Hand und diese merkwürdige Ruhe krabbelte zärtlich von meinen Fingerspitzen bis hoch über meinen Arm, wie eine Infusion zwischen meine Augenbrauen, dort wo gerne eine Falte der Verzweiflung entsteht, und ich tauchte augenblicklich ins Nichts. Eine angenehme Leere breitete sich in mir aus, ich atmete ganz ruhig, bis ich auf einen kleinen Punkt ganz am Ende meiner Wahrnehmung zuraste, wie auf das Ende eines Tunnels und dann war es da, ein… Gedanke, oder eine Handvoll Worte, ich weiß nicht, plötzlich stieß es nieder in meine Hand, und ich meine fast, dass der Stift überschwänglich auf mich zu wippte und dann ging ich in ihn rein und ich spürte, wie sich die Zellen meiner Haut öffneten, wie sie den Stift umfingen und seine Zellen in meine eindrangen. Der Stift bewegte sich wie ein Muskel, er reagierte auf jedes Zucken meines Geistes ohne Umschweife und ohne Befehl. Wie pulsierende Blutbahnen flossen die Zeichen über das Papier, das sie so natürlich umfing und bettete, nein, sie leitete, als wären sie Adern und ich fühlte wie die Worte rhythmisch und warm immer wieder durch mich flossen, als wären wir ein Organismus, als könnte ich nur durch sie atmen, leben, denken. Diese Zeichen waren ich, ganz körperlich, ebenso wie die gelblich schimmernden Blätter, dieser Strom aus Worten, der mich warm übergoss, zyklisch.
Ich sitze nun vor einem gefüllten Buch. Die Schrift kommt mir bekannt vor. Sie ist schwungvoll, aber bestimmt, sie fließt über die Ränder, doch sie weiß wohin. Ich erkenne den Klang meiner Stimme, doch sie enthält einen neuen Ton, der klingt irgendwie nach Blei.
Nicht ich habe geschrieben. Das ich fühlt sich falsch an. Das existiert gar nicht. Ich war an einem Ort, den man nicht einfach so betreten kann, den man nicht fragen kann, den man nicht bitten kann. Das ich ist ein anderes ich, das entsteht, durch… ich weiß nicht wie viele Faktoren – natürlich, wir sind verwandt, und ich sehe schon wie sich diese verwandten Ichs in meinem Schrank anfüllen, sich kritisch beäugen, sich distanzieren, waren doch die Umstände ihrer Geburt völlig andere. Das muss man anerkennen.
Ich bin sauer auf diese Sprache, die ganz offensichtlich ihre Aufgabe nicht erfüllt. Sie ist untauglich. Und dieses Blatt Papier, mein Stift, die mir eigentlich helfen sollten, sie treiben ein falsches Spiel. Sie mischen sich ein und dann verbinden wir uns zu etwas, das nicht mehr ich bin, dann entsteht dieser Ort in mir, außer mir, und dann ist es völlig klar, dass es nicht mehr ich bin, der schreibt, der seine Liebe gesteht, sondern dieses andere ich, dass ich nicht mal zur Rechenschaft ziehen kann, dass es sich in meine Beziehungsangelegenheiten einmischt, weil ich ihm ja den Antriebsstoff, mein Schreiben, gegeben habe.
Wie kann ich mit dem Wissen leben, in meinem Schreiben nie zu existieren? Wie kann ich damit leben, jedem ein Trugbild vorzuhalten, das sich für mich ausgibt? Bin ich doch niemals wahrhaftig?
Ich breche den Stift in zwei, weil mir der Blei im Hals kratzt. Das Papier knülle ich zusammen und werfe es weg. Ich muss mich mit den anderen Ichs versöhnen, ich weiß das. Sie schauen mich ja schon ganz wehleidig aus dem Regalbrett an.
Das Problem ist, es war ganz körperlich, irgendwie verdammt intim. Jetzt sind wir, ist es, entzweit. Werde ich diesen Raum je wieder betreten?