2019/03 – Buchstabensuppe

"Dass man sich nicht den Magen verdorben hat, merkt man jedoch daran, dass andere eben genau dasselbe genossen haben, ihnen es jedoch nicht den Magen verdrehte, als würde man ihn im Schnellgang der Waschmaschine schleudern."

Hast du als Kind auch immer in der Buchstabensuppe neugierig herumgerührt, und statt zu essen, nach schicksalhaften Worten gesucht, die Schüssel wie ein Orakel andächtig betrachtet, und bald darauf mit Ungeduld selbst am Rand der Schüssel die Worte gebildet, die dir bereits im Kopf schwebten?
Ich war einmal begeisterte Wort-Bildnerin, Satz-Formerin und Traum-Inszeniererin. Wenn ich heute daran zurückdenke, es auch nur versuche, etwas, das sich in mir aufbraust, zu formen, da schmerzt es plötzlich in meiner Magengrube. Ein dunkles, tiefes Rumoren und der Befehl zum Zurückrudern, zum nicht Zerkauen und Verarbeiten der Worte, lieber wieder ausspucken, soll jemand anderes diese Buchstaben essen.
Ich dachte erst, ich hätte mir den Magen verdorben. Vielleicht hatte ich zu viele schlechte Buchstabensuppen genossen, eine ungünstige Kombination von Zeichen, die den Magen reizen, vielleicht waren sie aber auch schlichtweg verdorben.
Dass man sich nicht den Magen verdorben hat, merkt man jedoch daran, dass andere eben genau dasselbe genossen haben, ihnen es jedoch nicht den Magen verdrehte, als würde man ihn im Schnellgang der Waschmaschine schleudern.
Somit bildete sich in mir der logische Gedanke, ich wäre krank. Sowas kommt vor. Man kann sich ja bei anderen anstecken, vielleicht lag es an der kalten Luft, vielleicht bin ich mit einem besonders tückischen Erreger in Berührung gekommen.
Dann stieß ich auf das medizinische Wort: Gastritis, ausgelöst durch Stress. Unwohlsein des Magens, auch Erbrechen ein mögliches Symptom. Es braucht seine Zeit, bis der Magen wieder genest. Am besten erst einmal auf Schonkost umsteigen.
Ja, es braucht wohl seine Zeit, bis ich wieder wie früher Worte formen kann, sie unbedarft und frei an den weißen Porzellanrand meiner Schüssel anordne, verschiebe, und wieder zurück in die Brühe werfe. Bis dahin muss ich mich Wohl oder Übel dem bösen Murren und Knurren des Magens unterwerfen, dem schrecklichen Gefühl der Übelkeit, dem sich vor Schmerzen krümmenden Unterleib, wenn ich dann doch mal auf den Genuss komme –

Eine Gastritis braucht Zeit um zu verklingen. Bis dahin: Schonkost.

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